Grazer Philosophische Studien

Volume 58/59, 2000

Skizzen zur österreichischen Philosophie

Sonja Rinofner-Kreidl
Pages 467-532

Konventionalismus oder Dezemismus?
Das Begründungsproblem in Hugo Dinglers Wissenschaftslehre

Ist die Verbindung von Konventionalismus und Letztbegründung in sich widersprüchhch? Diese Frage ist zu entscheiden, indem Dinglers Sonderstellung in der Konventionalismus-Debatte auf der Grundlage einer Analyse des Begriffsapparates und des Begründungsanspruches seiner Fundamentalwissenschaft aufgeklärt wird. Von zentraler Bedeutung ist hiebei der Exhaustionismus, mit dem Dingler das Schlüsselproblem seiner Wissenschaftslehre - das Verhältnis von Theorie und Empirie - löst und zu einer differenzierten Bestimmung der Theorieabhängigkeit der Erfahrung gelangt. Das Gesamtbild von Dinglers Denken ist von der Einsicht in die Unmöglichkeit einer theoretischen Letztbegründung geprägt. Dieser Einsicht verdankt sich die eigentümliche Verbindung von Konventionalismus, operativistischem Apriorismus und Willensmetaphysik, die aus der Überschreitung des Systems der reinen Synthese in die vorwissenschaftliche Lebenssphäre resultiert. Was „praktischer Absolutismus" bedeutet und was diese Konzeption leistet, wird ausgehend von Dinglers Bestimmung des Begriffs des reinen Willens ausgeführt.