Fichte-Studien

Volume 43, 2016

Fichte und seine Zeit

Hans Georg von Manz
Pages 239-254

J. G. Fichtes kritische Lektüre von Franz Anton Mesmers „Allgemeine Erläuterungen über den Magnetismus und den Somnambulismus“ als Ausgangspunkt für eigene naturphilosophischen Überlegungen

J. G. Fichte’s »Tagebuch über den [animalischen] Magnetismus« [»Diary of the [animal] Magnetism«] from 1813 consists largely of excerpts and comments on reports from patients who have been treated with applications of animal magnetism. As part of the preparations for the critical edition of Fichte’s „Tagebuch über den Magnetismus“ the central text on which Fichte founded his further philosophical considerations could be identified: It is Franz Anton Mesmer’s „Allgemeine Erläuterungen über den Magnetismus und den Somnambulismus. Als vorläufige Einleitung in das Natursystem.“ [„General Explanations about magnetism and somnambulism. As a preliminary introduction to the system of nature.”] of 1812. The following article shows how Fichte came into touch with the subject of animal magnetism and how he specifically dealt with Mesmer’s text. Mesmer’s concern to develop a unified conception of nature that brings all the laws of nature into a closed system matches with Fichte’s intention to form a systematic unity of all knowledge. However, Fichte discovered in Mesmer’s project several problematic concepts such as the constitution of the organism and of man as a spiritual being, which Fichte criticizes and makes the starting point for his own ideas. His idea of a liberal-idealistic and thus dynamic system of nature always remains present. J. G. Fichtes „Tagebuch über den [animalischen] Magnetismus“ aus dem Jahr 1813 besteht zum großen Teil aus Exzerpten und Kommentaren zu Berichten von Kranken, die mit Anwendungen des animalischen Magnetismus behandelt worden sind. Im Rahmen der Vorbereitungen für die kritische Herausgabe von Fichtes „Tagebuch über den [animalischen] Magnetismus“ konnte der zentrale Text, dessen kritische Lektüre Fichte zu seinen weitergehenden philosophischen Überlegungen führt, identifiziert werden: Es handelt sich um Franz Anton Mesmers „Allgemeine Erläuterungen über den Magnetismus und den Somnambulismus. Als vorläufige Einleitung in das Natursystem.“ von 1812. Im folgenden Aufsatz wird gezeigt, wie Fichte mit der Thematik des animalischen Magnetismus in Berührung kam und wie er sich speziell mit Mesmers Text auseinandersetzte. Mesmers Anliegen, eine einheitliche Naturkonzeption zu entwickeln, die alle Naturgesetzlichkeiten in ein geschlossenes System bringt, kommt Fichtes Intention nach systematischer Einheit allen Wissens entgegen. Allerdings entdeckt Fichte bei Mesmer etliche problematische Konzepte, etwa zur Konstitution des Organismus und des Menschen als geistigem Wesen, die er kritisiert und zum Ausgangspunkt eigener Überlegungen macht. Die Idee eines freiheitlich-idealistischen und damit dynamischen Natursystems bleibt dabei stets präsent.